Praxis der Klärungsorientierten Psychotherapie

Therapeutische Regeln in der Klärungsorientierten Psychotherapie

Komplementäre Beziehungsgestaltung: Plananalyse und Klärungsorientierte Psychotherapie

Klärungsprozesse: Was soll im Therapieprozess wie geklärt werden?

Bearbeitung von Schemata im Ein-Personen-Rollenspiel

Die Bearbeitung von Vermeidung in der Klärungsorientierten Psychotherapie

• Focusing: Eine Therapietechnik zur Repräsentation affektiver Schemata

Interaktionsschwierigkeiten im Therapieprozess bei Klienten mit narzisstischer und histrionischer Persönlichkeitsstörung

Focusing: Eine Therapietechnik zur Repräsentation affektiver Schemata
Rainer Sachse und Jana Fasbender

1. Einleitung
Focusing wird von uns, so viel geht aus dem Titel schon hervor, zentral aufgefasst als eine Therapietechnik, deren Zweck und Ziel es ist, Inhalte affektiver Schemata von Klienten, die nicht in einem kognitiven Repräsentationscode vorliegen, in adäquate kognitive Bedeutungen "zu übersetzen" und sie so dem Klienten verständlich und sie besser therapeutisch bearbeitbar zu machen.

Focusing ist ursprünglich ein Verfahren, das von Gendlin (1962, 1964, 1969, 1970a, 1970b) entwickelt wurde; es entstand aus einer "Synthese" von Klientenzentrierter Psychotherapie und Existenz-Philosophie. Die Theorie des Focusing, die Gendlin entwickelte, ist dementsprechend auch keine psychologische, sondern eine philosophische Theorie (Gendlin, 1970b). Dies gilt weitgehend auch noch für viele aktuelle Focusing-Ansätze (vgl. Witschko, 2007). Da diese Theorie jedoch heute dem Entwicklungsstand der Psychologie in gar keiner Weise mehr entspricht, werden wir auf sie auch nicht weiter eingehen.

Das technische Verfahren des Focusing hat sich dagegen seit der Entwicklung durch Gendlin kaum verändert: In den 80er Jahren hat meine (RS) Forschungsgruppe mit Modifikationen experimentiert und diese empirisch erprobt; wir konnten jedoch keine wirklichen technischen Verbesserungen finden. Daher stellen wir auch hier das Verfahren selbst weitgehend unverändert dar, betten es jedoch in einen neuen psychologisch-theoretischen Kontext ein. Unsere Forschungen haben auch dazu beigetragen, psychologische Prozesse im Focusing zu klären (vgl. Neumann & Sachse, 1992; Sachse, 1985, 2003; Sachse & Atrops, 1989, 1991; Sachse & Neumann, 1983, 1986, 1987a, 1987b; Sachse et al., 1992).

2. Theoretische Grundlagen

2.1 Affektive Verarbeitungen
Theoretisch muss man davon ausgehen (vgl. auch Sachse und Sachse in diesem Band), dass Situationen von Personen immer von zwei Verarbeitungsmodi parallel verarbeitet werden:
Dieser motivational-affektive Modus stellt somit sicher, dass das Wohlergehen der Person gewahrt bleibt, er ist somit nicht für die Interaktion mit der Realität, sondern für die "Motivkompatibilität" von Handlungsergebnissen zuständig.

Die affektiven Verarbeitungen, die durch das motivational-affektive System generiert werden, führen zu Affekten: Diese sind noch keine "Emotionen" im engeren Sinne, gehen aber als affektive Bewertungen in die Emotionsgenese ein (siehe Püschel & Sachse, 2009).

Affekte sind sehr unterschiedlich und variabel: Es kann sich dabei um körperlich gut spürbare Reaktionen handeln wie Verspannung im Nacken, Druck im Bauch, Druck auf der Brust; aber auch um "Stimmungen", wie dem "Gefühl eines diffusen Unbehagens", dem Gefühl, "irgendetwas stimmt nicht" usw.

Diese Affekte enthalten alle Informationen (vgl. Schwarz, 1985, 1987, 1990; Schwarz & Bohner, 1996; Schwarz & Clore, 1983, 1988, 1996): Sie sind nicht einfach irgendwelche körperliche Reaktionen, sondern sie sind hoch informative Signale: Sie signalisieren das Ergebnis affektiver Verarbeitungsprozesse und enthalten damit affektive Bedeutungen. Sie informieren die Person darüber, dass alles in Ordnung ist, dass Motive befriedigt sind oder aber, dass eine Situation nicht mit Motiven kompatibel ist, dass Motive bedroht sind, dass etwas nicht so ist, wie es sein sollte. Insbesondere negative Affekte haben den wichtigen Informationsgehalt, dass die Person sich in einem Zustand befindet, der Motiven nicht gut tut oder nicht gut tun wird.

Affekte sind damit nicht einfach nur "Reaktionen": Sie sind vielmehr Informationen und sie tragen wichtige affektive Bedeutungen. Gendlin (1970a) nennt diese Affekte "felt senses" ("gefühlte Sinne" oder "gefühlte Bedeutungen"), eine Bezeichnung, die auch mit unserer Theorie kompatibel ist und die wir deshalb beibehalten wollen.

2.2 Affektive Schemata
Man muss annehmen, dass affektive Verarbeitungen bereits früh in der Biographie beginnen: Diese affektiven Verarbeitungen bedeuten jedoch, dass Situationen ständig auf "persönliche Relevanz" (auf Relevanz im Hinblick auf Bedürfnisse und Motive) hin "gecheckt" werden: Situationen werden ständig daraufhin analysiert, ob sie gut tun, bedrohlich sind, aversiv sind usw. Und diese Erfahrungen (Interpretationen) mit Situationen werden gespeichert, denn es ist für den Organismus wichtig, günstige und aversive Situationen schnell wiederzuerkennen. Man kann daher annehmen, dass sich durch die affektiven Verarbeitungen, genauso wie durch kognitive Verarbeitungen, Schemata herausbilden, indem sich die Schlussfolgerungen aus Erfahrungen verdichten: Nur dass sich in diesem Fall nicht kognitive Schlussfolgerungen verdichten, sondern affektive. Dadurch bilden sich affektive Schemata. Diese affektiven Schemata enthalten die affektiven Bewertungen von Situationen in komprimierter Form und werden dann später durch Situationskomponenten wieder aktiviert, die den Situationen bei ihrer Entstehung ähnlich sind. Die Aktivierung dieser affektiven Schemata führt zu Affekten.

2.3 Dysfunktionale affektive Schemata
Macht eine Person in ihrer Biographie mit bestimmten Situationen eine Reihe von affektiv negativen Erfahrungen, dann bildet sich ein negatives affektives Schema. Wird die Person z.B. durch ihren Vater ständig abgewertet, so führt jede dieser Erfahrungen zu negativen affektiven Bewertungen, die sich zu einem Schema verdichten. Später dann wird das Schema z.B. durch "Autoritätspersonen" (d.h. durch Personen, die als "Autoritätspersonen" interpretiert werden) aktiviert und seine Aktivierung führt zu negativen aktuellen Affekten.

Dabei können dysfunktionale affektive Schemata durch massive Traumata entstehen, aber auch durch chronische "kleinere" Traumatisierungen, wie zum Beispiel sich wiederholende explizite oder implizite Abwertungen durch die primären Bezugspersonen, andauerndes "nicht ernst nehmen" eines Kindes oder ständige "kleinere" Grenzüberschreitungen.

"Dysfunktional" ist das Schema deshalb, weil die jeweils aktivierten Affekte mit dem in der Situation jeweils adaptiven Denken, Fühlen und Handeln massiv interferieren können: Die Person fühlt sich schlecht, es werden negative Gedächtnisbestände aktiviert, die Person konzentriert sich nicht auf die Aufgabe, hat Fluchttendenzen, ist hochgradig unsicher usw. Das Schema führt damit zu ungünstigen Verarbeitungsprozessen, ungünstigen Handlungen, schlechten Ergebnissen und hohen Kosten: Es ist dysfunktional!

Wichtig ist hier zu sehen, dass Affekte, insbesondere negative Affekte, durch die Aktivierung (alter) affektiver Schemata zustande kommen können: Damit laufen gar nicht aktuelle Analysen aufgrund aktueller Motive ab, die zu affektiven Bewertungsprozessen führen. Es laufen vielmehr Verarbeitungsprozesse aufgrund alter, möglicherweise völlig überholter affektiver Schemata ab, die zu jeweils sehr negativen Bewertungsprozessen führen! Die Person fühlt sich schlecht oder bedroht, weil ein altes Schema es ihr suggeriert (nicht weil es aktuell wirkliche Bedrohungen gäbe oder weil die Person jetzt real abgewertet wird!). Affektive Schemata erzeugen somit über die aktuellen Affekte aktuell affektive Bedeutungen für die Person, die gar nicht wirklich auf realen Verarbeitungen, sondern auf "alten Erfahrungen" beruhen.

Auch in dieser Hinsicht funktionieren affektive Schemata sehr ähnlich wie kognitive: Sie suggerieren der Person Bedeutungen, die nicht auf aktuellen Analysen beruhen, sondern auf antiquierten Erfahrungen!

2.4 Affektiver Repräsentationscode
Die kognitiven Verarbeitungsprozesse finden in einem kognitiven Repräsentationscode statt und dementsprechend beinhalten die kognitiven Schemata auch einen kognitiven Code.
Affektive Verarbeitungsprozesse finden jedoch in einem "affektiven Code" (nicht in einem kognitiven Code!) statt und dementsprechend liegen die Inhalte affektiver Schemata auch in einem affektiven Code vor!

Man muss annehmen, dass der affektive Code ein ganz anderer ist als ein kognitiver Code: Was er genau ist, ist unklar (Perrig et al., 1993) nennen ihn "perzeptuellen Code", aber das ist nur eine Approximation).

Ein entscheidendes Problem für uns ist, dass wir (auch in der Therapie) immer über Sprache kommunizieren müssen und dass Sprache immer auf Kognitionen beruht. Wie sprechen wir aber über etwas, was nicht kognitiv ist? Eben nur in Kognitionen! Deshalb muss uns klar sein, dass wir versuchen müssen, affektive Inhalte sprachlich auszudrücken, um über sie kommunizieren zu können, uns aber klar sein muss, dass unsere Sprache Formulierungen, so wie wir sie machen, gar nicht gespeichert hat! Die sprachliche Formulierung ist sozusagen nur eine Übersetzung dessen, was tatsächlich gespeichert ist. Wenn wir aber sagen, in einem affektiven Schema stände der Inhalt "ich bin verabscheuungswürdig", dann muss uns klar sein, dass dieser Inhalt nicht so im Schema steht, sondern in einem affektiven Äquivalent! Die Person denkt den Inhalt nicht, sondern sie spürt die Bedeutung! Man verliert diesen essentiellen Unterschied leicht aus dem Blick, aber er ist zentral!

Der kognitive Code des kognitiven Systems ist, so muss man sich deutlich machen, aber ein völlig anderer als der affektive Code des affektiven Systems: Beide Verarbeitungssysteme "sprechen eine andere Sprache". Deshalb können die beiden Systeme aber auch nicht ohne Weiteres kommunizieren: Das kognitive System "versteht" die affektiven Informationen nicht ohne Weiteres.

Da das kognitive System (was für die Interaktion mit der Realität zuständig ist) aber die Handlungsplanung und Handlungsorganisation zum größten Teil steuert, wäre es wichtig, wenn es die affektive Information verstehen könnte (wenn, um es anders zu formulieren, die implizite Bedeutung in explizite Bedeutung übersetzt wäre); denn dann könnte es Motive und Bedürfnisse im Handeln deutlich und explizit berücksichtigen! Man muss aber annehmen, dass die Person mit ihren affektiven Signalen Erfahrungen hat und deshalb viele dieser Signale inzwischen gut "decodieren" kann: Das kognitive System kann somit viele affektive Informationen "übersetzen"! Offenbar gibt es aber auch große individuelle Unterschiede darin, wie gut eine Person ihre affektiven Signale verstehen kann: Psychosomatiker können dies extrem schlecht und eine schlechte "Übersetzung" hat einerseits eine Stabilisierung der Alienation zur Folge, geht andererseits aber auch auf Alienation zurück (Beckmann, 1998, 2006; Kuhl & Beckmann, 1994; Sachse, 1993, 1995a, 1995b, 1998, 2006).

Bei Personen mit geringer Alienation scheint die Kommunikation zwischen affektivem und kognitivem System zu funktionieren: Personen "verstehen" ihre Affekte und affektiven Bedeutungen und können danach handeln. Bei Personen mit hoher Alienation funktioniert die Kommunikation aber gar nicht: Personen haben z.T. keine Ahnung, was ihre Affekte bedeuten können und sie ignorieren dann oft auch konsequent ihre Affekte!

2.5 Mangelnde Repräsentation
Bei dysfunktionalen affektiven Schemata scheint eine mangelnde kognitive Repräsentation aber unabhängig vom Ausmaß der Alienation typisch zu sein: Personen, die ein hoch dysfunktionales affektives Schema aufweisen, verstehen meist die Bedeutung des Schemas so gut wie gar nicht. Sie nehmen (starke) Affekte wahr, sie nehmen wahr, dass sie ungünstig reagieren, sie erkennen die Kosten: Was aber das Schema ist, was "im Schema steht" ist ihnen jedoch meist völlig unklar. Sie können den affektiven Schemainhalt nicht in einen kognitiven Code übersetzen, das Schema somit nicht kognitiv repräsentieren!

Damit haben sie aber Probleme, denn mangelnde kognitive Repräsentation des Schemas bedeutet,
Um ein dysfunktionales affektives Schema therapeutisch effektiv bearbeiten zu können, ist es hilfreich, zumindest Teile davon valide kognitiv zu repräsentieren: Denn dann weiß man, worum es geht, welche Inhalte man bearbeiten muss und kann dann eine Vorstellung davon entwickeln, wie.

3. Die Bildung einer kognitiven Repräsentation
Theoretisch muss man jedoch davon ausgehen, dass es keineswegs einfach ist, eine valide kognitive Repräsentation affektiver Bedeutungen zu schaffen. Denn genau wie bei der Übersetzung von Texten von einer Sprache in die andere geht es auch hier darum, die Kernbedeutung des einen Textes möglichst genau im anderen Text abzubilden, also nicht nur irgendeine Übersetzung zu haben, sondern eine, die den Inhalt möglichst genau trifft, also eine, die valide ist! Die kognitive Analyse muss damit die affektive Bedeutung des affektiven Schemas möglichst gut enthalten, also "das treffen, was das affektive Schema meint".

Gelingt es, eine solche "kognitive Übersetzung" herzustellen, dann
Die Übersetzung affektiver Bedeutungen in kognitive Bedeutungen ist möglich, da auch Kognitionen geschaffen wurden (und dazu sprachliche Begriffe), deren Sinn es ist, persönlich-affektive Bedeutungen auszudrücken. Es gibt also Kognitionen, die dazu geeignet sind (als Hauptbedeutungen oder als konnotative Bedeutungen), affektive Qualitäten auszudrücken. Somit gibt es prinzipiell auf der kognitiven Seite Begriffe, die geeignet sind, affektive Bedeutungen zu repräsentieren: Prinzipiell kann also der eine Code approximativ (!!) in den anderen übersetzt werden!

Das Hauptproblem der Übersetzung besteht aber darin, dass es kein Lexikon gibt: Man kann nicht affektive Bedeutungen nachschlagen und dafür dann die kognitiven Bedeutungen finden! Die Kognitionen sind bereits in hohem Maße, aber die affektiven Bedeutungen sind in extremem Maße idiosynkratisch: Was ein Affekt jeweils persönlich bedeutet und welche konnotativen Bedeutungen ein Wort oder eine Kognition hat, das hängt in extrem hohem Maße von Erfahrungen, Schlussfolgerungen usw. der Person ab: Nur die Person selbst - kein Lexikon und keine andere Person - kann die jeweilige Bedeutung kennen! Aber auch die Person hat kein eigenes Lexikon, in dem sie "nachschlagen" kann, welche Kognition zu welchem Affekt "passt": Damit ist aber der Übersetzungsvorgang sehr schwierig und nur die Person selbst kann ihn durchführen!

4. Übersetzungsprozess
Wenn die Person ein affektives Schema aktiviert hat, dann spürt sie aktuell Affekte: Diese Affekte weisen eine bestimmte, für die Person spürbare (aber eben nicht formulierbare) affektive Bedeutung auf. Will die Person nun Kognitionen finden, die auf der kognitiven Seite ähnliche Bedeutungen abbilden, also eine gute Übersetzung sein könnten, dann muss sie, ausgehend von der affektiven Bedeutung, die sie nun aktuell spürt, "passende" Kognitionen suchen. Da sie aber kein Lexikon hat, weiß sie gar nicht, wo sie suchen soll: Die "passenden" Kognitionen können sich "irgendwo" im gesamten Speicher der Kognitionen befinden. Da dieser aber riesig ist, kann die Person nicht systematisch alle Inhalte durchsuchen.

Psychologisch bedeutet das aber zwingend, dass die Person nicht nach einem sequentiell-analytischen Verarbeitungsmodus (Kuhl, 1983; Caspar, 1995) vorgehen kann: Sie kann nicht sinnvollerweise gezielt (wie denn?) oder nacheinander alle Inhalte durchforsten.

Damit bleibt der Person als Alternative aber nur der intuitiv-holistische Verarbeitungsmodus (Kuhl, 1983; Caspar, 1995): Die Person stößt eine Suche, ausgehend von den gespürten Bedeutungen aus an und "lässt die Suche laufen"; daraufhin startet eine automatisiert-intuitive Suche nach Kognitionen, die ähnliche Bedeutungen aufweisen. Stößt die Person bei der Suche auf entsprechende Kognitionen, dann vergleicht sie die Bedeutung der Kognition mit der gefühlten Bedeutung des Schemaelementes: Stimmt es überein, ist es eine Repräsentation, stimmt es nicht überein, startet die Suche neu. Stimmt es teilweise überein, dann sucht sie neue Kognitionen, die sie mit den schon vorhandenen zu einem besseren Bild verbinden kann oder sie sucht nun, von dem stimmigen kognitiven Element aus, gezielt weitere kognitive Elemente, die die Bedeutung sinnvoll ergänzen können, sodass die resultierende "Gesamtbedeutung" die affektive Bedeutung gut abbilden kann.

Bei diesem Übersetzungsprozess muss die Person somit
Wichtig ist zu sehen, dass in dem Augenblick, wo die Person schon "passende" kognitive Elemente gefunden hat, sie schon eine Art "Lexikonzugang" gefunden hat: Sie hat nun einen kognitiven Suchbereich aufgemacht, in dem sie nun gezielt und analytisch weiter nach anderen, ähnlichen Kognitionen suchen kann, die das Bild vervollständigen - beachte aber, dass diese Strategie möglich, aber keineswegs mit Sicherheit erfolgreich ist. Die zu der "Gesamtbedeutung" noch fehlenden kognitiven Elemente müssen sich nicht notwendigerweise in diesem Suchbereich befinden! Daher kann es notwendig sein, weitere Elemente mit einem intuitiven Vorgehen aufzuspüren!

5. Effekte einer Schemarepräsentation
Ein Effekt einer Schemarepräsentation, der meist beim Focusing auftritt, ist das unmittelbare Verstehen des Schemas: Dem Klienten leuchtet ein, was das Schema sagt und sie verstehen nun auch, warum sie so gehandelt haben, wie sie gehandelt haben, sie verstehen, warum sie sich in vielen Situationen schlecht gefühlt haben, sie erkennen auch, warum sie so "irrational" gedacht haben usw. Die Person versteht damit nicht nur die Bedeutung des affektiven Schemas, sie versteht auch die Bedeutung und die Ursachen ihres Problems besser: Sie versteht, wie das Schema gewirkt hat. Gendlin (1969) nennt diesen Moment des Verstehens "felt shift".

Ein weiterer Effekt einer Schemarepräsentation ist die Auslösung von Emotionen.
Das Schema könnte affektiv den Inhalt enthalten "ich bin wertlos, ich bin Beziehungsschrott", dann erzeugt das Schema bei seiner Aktivierung negative Affekte; es resultiert aber keine Traurigkeit, da der Person gar nicht klar ist, was das Schema und die ausgelösten Affekte bedeuten: Die Person "fühlt sich schlecht", miserabel usw., weiß aber nicht warum. Versteht die Person dann aber die Inhalte des Schemas, dann "laufen die Verarbeitungsprozesse weiter": Die Person bemerkt dann, was ihr gefehlt hat, was sie vermisst hat, erkennt, dass sie es von ihren Eltern nicht mehr bekommen kann usw. Diese weiteren Verarbeitungsprozesse erzeugen dann u.U. massive Traurigkeit. Emotionen im engeren Sinne setzen dabei weitere kognitive Interpretationsprozesse voraus, während Affekte "nur" die Aktivierung eines entsprechenden Schemas benötigen.

6. Focusing-Technik: Phasen
Die Focusing-Technik weist, entsprechend der Theorie, folgende Phasen auf.

1. Aktivierung des affektiven Schemas:
Der Klient aktiviert das affektive Schema, indem er sich gezielt eine auslösende Situation vorstellt oder indem er im Therapieprozess auf Problemaspekte stößt, die deutlich "felt senses" aktivieren.

2. Konzentrieren auf den "felt sense":
Der Klient konzentriert sich auf den "felt sense", d.h. auf die Affekte, die durch die Aktivierung des affektiven Schemas ausgelöst worden sind und behält diese als Referenzen im Fokus der Aufmerksamkeit.

3. Suche nach kognitiven Äquivalenten:
Der Klient sucht in einem intuitiv-holistischen Verarbeitungsmodus, im kognitiven Speicher nach Bildern oder Kognitionen, die affektive Bedeutungen des Schemas gut repräsentieren.

4. Prüfen und Weiterentwickeln:
Aufgetauchte kognitive Elemente prüft der Klient an der gespeicherten affektiven Bedeutung und er sucht weitere kognitive Elemente, die die repräsentierte Bedeutung verbessern.

5. "Felt shift":
Hat der Klient Kognitionen gefunden, die die affektive Bedeutung des Schemas gut abbilden, dann spürt der Klient ein subjektives Evidenzerleben, den "felt shift": Das aktivierte Schema wird in der Regel deaktiviert, der "felt sense" verschwindet und der Klient weiß subjektiv genau, dass er das Schema jetzt verstanden hat.

6. Erweiterte Anwendung:
Damit ist der Focusing-Prozess beendet und der Klient wendet nun das neue Verstehen an: Viele Aspekte seines Verhaltens werden ihm nun klar, er aktiviert oft neue Ressourcen und kommt zu neuen Problemlösungen.

6.1 Aktivierung des affektiven Schemas
Focusing kann natürlich nur dann ein affektives Schema kognitiv repräsentieren, wenn das zu repräsentierende Schema aktiviert ist, d.h. wenn im Hier und Jetzt des Therapieprozesses Affekte ausgelöst sind, wenn die Person aktuell eine affektive Bedeutung spürt. Damit setzt ein Focusing-Prozess in jedem Fall die Aktivierung eines affektiven Schemas voraus.

Meist geschieht die Aktivierung des Schemas aus einem "normalen" Prozess der Klärungsorientierten Psychotherapie heraus: Der Klient spricht über ein Thema/Problem und aktiviert dabei, ohne dies gezielt zu wollen, ein affektives Schema. Es spürt dann deutliche Affekte ("felt senses"), ohne aber zu verstehen, was genau diese bedeuten. Dann kann der Therapeut sofort an diesen "felt senses" ein Focusing ansetzen.

Der Therapeut kann aber auch damit beginnen, den Klienten zu instruieren, sich eine Situation, von der der Klient weiß, dass sie bei ihm unklare Affekte erzeugt, möglichst plastisch vorzustellen und "auf sich wirken zu lassen": D.h. der Klient soll die Situation nicht analysieren, sondern sich nur vorstellen und warten, was passiert. In den meisten Fällen wird durch die Vorstellung der zentralen "Trigger", also der relevanten Situationskomponenten, das affektive Schema aktiviert und der Klient beginnt, affektive Reaktionen zu spüren.

Das Vorliegen der Affekte, der "felt senses" ist beim Focusing der zentrale Indikator, der zeigt, dass das relevante affektive Schema nun tatsächlich aktiviert ist und dass der Klient hier und jetzt die affektive Bedeutung des Schemas spüren kann. Diese affektive Bedeutung des Schemas ist die Referenzbasis, daran orientieren sich nun alle Prozesse: Diese Basis bestimmt schließlich, ob eine gute Übersetzung in Kognitionen gelungen ist.

6.2 Konzentration auf den "felt sense"
Damit ist aber klar, dass der Klient diese affektive Bedeutung die ganze Zeit über im Fokus der Aufmerksamkeit haben muss: Der Klient muss somit während des gesamten Prozesses einen Teil seiner Aufmerksamkeit auf diese affektive Bedeutung konzentrieren, er muss den "felt sense" im Fokus seiner Aufmerksamkeit behalten!

Damit, so kann man annehmen, hält er das Schema auch aktiviert: Die auslösende Situation selbst braucht der Klient nur zu einer "initialen" Aktivierung des Schemas, ist das Schema einmal aktiviert, dann kann die Situation selbst in den Hintergrund treten, der Klient stellt sie sich nicht weiter vor. Um das Schema aktiviert zu halten, muss er sich aber weiterhin auf den "felt sense" konzentrieren: Er muss immer im Prozess einen "felt sense" spüren können, denn nur so hat er immer die Referenzbasis dafür zu bearbeiten, ob die kognitive Übersetzung gut klappt oder nicht. Verschwindet der "felt sense" im Focusing-Prozess, ist das ein Zeichen dafür, dass das Schema deaktiviert ist; dann lässt sich kein Focusing mehr machen: Der Prozess muss dann mit einer erneuten Aktivierung des Schemas neu starten!

Betrachtet man, dass ein affektives Schema komplex sein kann, dann wird aber klar, dass zu einem gegebenen Zeitpunkt immer nur Aspekte des Schemas aktiviert sein können: Und je nachdem, welche Aspekte aktiviert sind, sind auch unterschiedliche affektive Bedeutungen salient. Und damit treten dann auch unterschiedliche Affekte und "felt senses" auf. Das bedeutet zum einen, dass mehrmaliges Aktivieren des Schemas nicht die gleichen "felt senses" erzeugen muss und es bedeutet, dass sich bei der Repräsentation eines Schemas im Focusing der "felt sense" verändern kann. Je nachdem, welche Aspekte z.B. gerade kognitiv repräsentiert wurden, können diese kognitiven Bedeutungselemente wieder Stimuli für das affektive Schema sein, die im Prozess nun neue Schemaaspekte aktivieren, wodurch sich der aktuelle "felt sense" ändert: Dies ist aber im Prozess völlig in Ordnung, denn damit entwickelt sich die Repräsentation als ein dynamischer Prozess und man kann annehmen, dass dadurch zentralere, relevantere Schemainhalte "getriggert" und damit auch repräsentiert werden: Daher ist eine Veränderung des "felt sense" im Focusing-Prozess ein normaler Vorgang!

6.3 Repräsentationsbildung
Der Klient muss nun aufgefordert werden, zu der gespürten affektiven Bedeutung kognitive Bedeutungsäquivalente zu finden: Und er muss aufgefordert werden, diese Suche in einem intuitiv-holistischen Modus durchzuführen. Er muss "Kognitionen entstehen lassen", er muss die Suche gewissermaßen anschieben und "sein System machen lassen". Er muss aber verhindern, dass er bewusst und damit sequentiell-analytisch Bedeutungen sucht, denn die Wahrscheinlichkeit, auf diese Weise welche zu finden, ist extrem gering.

Bei den kognitiven Äquivalenten für den wahrgenommenen Affekt muss es sich dabei nicht zwangsläufig sofort um ein bestimmtes "Wort" handeln. In der Praxis zeigt sich vielmehr, dass (evtl. angeregt durch den intuitiv holistischen Modus) in der Regel häufig zunächst Bilder beim Klienten entstehen. Dies können einzelne Bilder, Bildelemente oder auch komplexere Bilderfolgen sein. Bilder können dann im Focusing-Prozess noch weiter in Sprache "übersetzt" werden, um deren Symbolgehalt verstehen zu können.

Gerade in dieser Phase versagen viele Klienten, weil sie z.B.
Dies ist die Phase, in der 80% der Focusing-Prozesse scheitern: Die Klienten finden gar keine kognitiven Repräsentationen, finden keine Stimmungen, lassen sich gar nicht erst auf die Prozesse ein, theoretisieren darüber, welche Bedeutungen es denn geben könnte usw.

6.4 Prüfen und Weiterentwickeln
Der Klient muss alle Kognitionen, die auftauchen, in ihrer Bedeutung mit den gespürten affektiven Bedeutungen vergleichen und prüfen, ob die Bedeutung der Kognition in irgendeiner Weise mit der affektiven Bedeutung übereinstimmt: Der Klient muss somit beurteilen, ob das aufgetauchte kognitive Element (z.B. Bild oder Wort) eine gute "Übersetzung" für die affektive Bedeutung ist. Dazu muss der Klient
Tut der Klient dies, kann er prinzipiell zu drei Urteilen gelangen:
  1. Kognitive und affektive Bedeutung stimmen völlig überein, d.h. die Kognition bildet die affektive Bedeutung sehr gut ab: In diesem Falle wäre die Übersetzung gelungen und damit wäre der Prozess abgeschlossen.

  2. Kognitive Bedeutung und affektive Bedeutung stimmen teilweise überein: Das kognitive Element repräsentiert einen Teil der affektiven Gesamtbedeutung - aber andere Aspekte fehlen oder das kognitive Element transportiert ebenfalls noch Bedeutungselemente, die nicht mit der affektiven Bedeutung übereinstimmen.

  3. Kognitive und affektive Bedeutung stimmen nicht überein.
Fall 1 und 3 sind simpel: In Fall 1 ist der Prozess abgeschlossen und bei Fall 3 muss der Klient das gefundene kognitive Element aus seiner Aufmerksamkeit ausblenden und die Suche erneut starten.

Bei Fall 2 kann der Klient sich nun auf die affektive Bedeutung und auf das kognitive Element gleichzeitig konzentrieren und erneut intuitiv-holistisch weitersuchen, ob er Elemente findet, die
Auf diese Weise bilden die Klienten tatsächlich oft komplexe Vorstellungen, die dann als Ganzes (alle Elemente zusammen) die affektive Bedeutung des Schemas repräsentieren.

Dieser Prozess ist oft recht zeitaufwendig und störanfällig: Klienten brauchen für die intuitive Suche und Prüfung viel Zeit und sie müssen sich voll auf diesen Prozess konzentrieren.
Hat der Klient eine stimmige Kognition, dann kann er auch gezielt nach damit verbundenen Kognitionen suchen, die ähnliche Bedeutungen haben: In diesem Fall kann er, von der stimmigen Kognition ausgehend, auch einen sequentiell-analytischen Suchmodus beginnen und so stimmigere Kognitionen finden.

Wichtig ist hier, dass der Klient "mit Bedeutungen spielt", um auf der kognitiven Seite ein Bild zu finden, das am ehesten (wahrscheinlich niemals identisch!) die gespürte affektive Bedeutung trifft: Auch hier sollte der Klient die Veränderung von Vorstellungen, Werten usw. eher "zulassen" als aktiv generieren! Auf diese Weise bildet sich langsam Schritt für Schritt eine Kognition, die man als Klient als "stimmig" empfindet.

Manchmal muss ein Klient, um zu verstehen, was die Bedeutung ist, noch eine Kognition in Sprache übersetzen: Klienten können nämlich manchmal ein komplexes Vorstellungsbild entwickeln, das die Gefühle, affektive Bedeutung sehr stimmig repräsentiert (das können sie deutlich spüren). Dennoch verstehen sie aber das Vorstellungsbild selbst noch nicht: In diesem Fall müssen sie oft noch die Kognition in sprachliche Bedeutung übersetzen: Gelingt dies Klienten, dann haben sie verstanden, was die affektive Bedeutung ist.

6.5 "Felt shift"
Sobald der Klient den Eindruck hat, er hat nun verstanden, was die affektive Bedeutung des Schemas ist (die Bedeutung des "felt sense"), hat der Klient ein deutliches, subjektives Evidenzerleben: Es ist ein deutliches Aha-Erleben, ein Gefühl, nun zu verstehen, worum es geht. Subjektiv ist damit meist ein Gefühl von Erleichterung verbunden: Der Klient hat das Gefühl, nun zu entspannen, "es geschafft zu haben". Meist wird in diesem Augenblick das affektive Schema auch schlagartig deaktiviert: Damit verschwindet auch der "felt sense". Dieser Prozess schließt den Focusing-Prozess ab: Mit diesem "felt shift" (gefühlter Veränderung) ist der Repräsentationsprozess abgeschlossen. Sowohl Klient als auch Therapeut bemerken dies deutlich und auch unmissverständlich: Man kann es nicht fehlinterpretieren.

6.6 Erweiterte Anwendung
Der Klient, der nun sein affektives Schema versteht, kann nun Prozesse ablaufen lassen, die ohne diese Repräsentation gar nicht möglich gewesen wären.

1. Er versteht sein Schema:
Der Klient kann nun verstehen, was sein Schema besagt, "was im Schema steht", er versteht nun auch, wie sein Schema funktioniert, durch welche Stimuli ("Trigger") das Schema aktiviert wird und versteht, warum das der Fall ist. Der Klient hat nun die Bedeutungen des Schemas klar.

2. Er versteht Situationen und Handlungen:
Der Klient versteht nun, warum er in bestimmten Situationen Schwierigkeiten hatte, warum er so gefühlt hat, wie er gefühlt hat, warum er so gehandelt hat, wie er gehandelt hat. Er versteht z.B. auch, wie das Schema in seiner Biographie entstanden ist.

3. Es wurden Emotionen ausgelöst:
Die kognitive Repräsentation ermöglicht dem Klienten weitere Verarbeitungsprozesse, die nun Emotionen auslösen: Dem Klienten wird nun z.B. klar, dass im Schema steht "ich bin Beziehungsschrott, niemand mag mich, alle wenden sich von mir ab". Indem dem Klienten dies klar wird, wird ihm auch klar, wie schlecht er von Eltern behandelt worden ist und was er alles vermisst hat. Dies kann, manchmal unmittelbar, zu heftiger Traurigkeit führen.

4. Das Schema wird durch positive Schemata gehemmt:
Ein nach dem Focusing-Prozess bei Klienten mit einem hohen Potential an Ressourcen manchmal eintretender Fall ist, dass das nun verstandene und kognitiv zugängliche Schema sich schnell mit positiven Ressourcen-Schemata verbindet und offenbar schnell aktiv gehemmt wird. Subjektiv bemerken die Klienten dann, dass sie nicht hilflos sind, wie das affektive Schema ihnen suggeriert, aber sie erkennen dies nicht nur: Das positive Schema, das Stärke und Macht repräsentiert, scheint sich in günstigen Fällen, wahrscheinlich vermittelt durch diese Erkenntnis, mit dem negativen affektiven Schema zu verbinden und es zu hemmen; dies ist erkennbar daran, dass die Personen dann, ohne weitere therapeutische Bearbeitung des Schemas, in kritischen Situationen anders fühlen, denken und handeln. Gendlin schien diesen Fall für den Normalfall gehalten zu haben: Nach unseren Erfahrungen ist er aber eine Ausnahme. Er kommt vor, ist aber nicht die Regel.

5. Der Klient kann erkennen, dass sein Schema ein altes Muster ist:
Was der Klient nun auch erkennen kann, ist, dass die Inhalte des Schemas alt sind: Der Klient hat negative affektive Reaktionen nicht, weil er wirklich "Beziehungsschrott" ist, sondern weil die Affekte ihm in der Biographie vermittelt worden sind. Das bedeutet auch, das Schema ist ein altes, überholtes Muster, das nicht "wahr" ist, sondern gegen das der Klient angehen und gegen das er sich nun auch gezielt wehren kann.

6. Sich wehren gegen Schemata:
Der Klient kann nun beginnen, bewusst gegen das Schema zu rebellieren und gegen das Schema anzugehen: Er kann Ressourcen aktivieren, sich deutlich machen, dass er ok ist, dass er nicht mehr klein und hilflos ist, dass er sich wehren kann usw.: Der Klient kann hier "eine Therapie mit sich selbst beginnen"!

7. Therapeutische Bearbeitung:
In der Therapie eröffnet nun die Repräsentation des Schemas auch neue therapeutische Möglichkeiten, dass das Schema, dessen Inhalte man nun kennt, jetzt gezielt mit kognitiven und affektiven Therapiestrategien gezielt bearbeitet werden kann. Hier bietet sich zum Beispiel ein im Rahmen der Klärungsorientierten Psychotherapie zur Schemabearbeitung eingesetztes Verfahren, das "Ein-Personen-Rollenspiel" an (Sachse et al., 2008).

7. Indikation und Voraussetzungen für Focusing
Eine Indikation für die Therapietechnik Focusing besteht dann, wenn
Voraussetzungen für den Einsatz von Focusing sind:
Die letzten zwei Spiegelstriche weisen darauf hin, dass insbesondere in der Therapie mit psychosomatischen Klienten und Klienten mit ausgeprägten Persönlichkeitsstörungen die Indikation für Focusing besonders in frühen Therapiephasen nicht gegeben ist. Ebenfalls stellen diagnostisch besonders Posttraumatische Belastungsstörungen und emotional-instabile Persönlichkeitsstörungen in aller Regel eine Kontraindikation für Focusing dar.

8. Das technische Vorgehen im Focusing

8.1 Aktivierung eines affektiven Schemas
Der Klient kann im Verlauf einer Klärungsorientierten Psychotherapie auf Inhalte stoßen, die automatisch, in der Regel ohne dass der Klient dies intendiert hat, ein affektives Schema aktivieren und "felt senses" auslösen: In diesem Fall kann der Therapeut den Klienten sofort instruieren, sich auf das zu konzentrieren, was er im Körper spürt und kann den Focusing-Prozess starten. Dieser spontane Einstieg ist in der Regel besser geeignet als ein artifizieller Einstieg, da der Klient den Affekt nicht erst durch Vorstellungskraft erzeugen muss, sondern er diesen unmittelbar spürt.

Der Therapeut kann aber auch mit dem Klienten eine kritische Situation suchen, von der der Klient weiß, dass sie bei ihm normalerweise "felt senses" auslöst: Diese Situation kann dann im Therapieprozess als Vorstellung benutzt werden, um ein affektives Schema zu aktivieren. Wenn man so vorgeht, ist es günstig, wenn Therapeut und Klient vorher herausarbeiten können, welche der vielen Aspekte der Situation tatsächlich relevant sind, d.h. welche das affektive Schema auch tatsächlich triggern: Denn genau diese Situationsaspekte sollte sich der Klient dann auch tatsächlich vorstellen, um das Schema zu aktivieren!

Eine weitere Einstiegsmöglichkeit bieten gegebenenfalls Träume, falls diese in der Erinnerung der Klienten einen starken Affekt auslösen.

Haben Therapeut und Klient die Situation herausgearbeitet, dann wird der Klient instruiert, sich entspannt hinzusetzen, alle Störungen zu beseitigen, die Augen zu schließen (und sie natürlich während des gesamten Prozesses geschlossen zu halten - der Klient muss sich völlig auf seinen Prozess und nicht auf andere Stimuli oder auf den Therapeuten konzentrieren!) und sich die Situation so plastisch wie möglich vorzustellen. Der Klient soll dabei "die Situation auf sich wirken lassen", nicht über diese nachdenken: Er soll die relevanten Situationstrigger wirken lassen und es "zulassen", dass das Schema aktiviert wird (das Schema kann nicht willentlich aktiviert werden). Dabei muss sich der Klient Zeit lassen, Geduld haben, "Prozesse geschehen lassen" und eine eher passive Haltung einnehmen. Wird das affektive Schema aktiviert, dann beginnt der Klient, "felt senses" zu spüren: In der Regel körperlich lokalisierbare Reaktionen, von denen er weiß, dass sie bedeutsam sind und dass sie mit der vorgestellten Situation zu tun haben: Nun hat der Klient einen "felt sense".

8.2 Konzentration auf den "felt sense"
Sobald der Klient einen deutlichen "felt sense" spürt und dem Therapeuten mitteilt, wird der Klient instruiert, sich auf das zu konzentrieren, was er im Körper spürt. Dadurch soll der Klient seine volle Aufmerksamkeit auf die Affekte konzentrieren und damit das Schema aktiviert halten. Instruktion an den Klienten: "Bitte konzentrieren Sie sich nun genau auf das, was Sie im Körper spüren, bitte lassen Sie sich Zeit." - Pause - "Bitte beschreiben Sie mir kurz, was Sie im Körper spüren."

Bleibt der "felt sense" stabil und kann der Klient sich auf den "felt sense" konzentrieren, geht man in Phase 3 über.

8.3 Arbeit an der Repräsentation
Der Klient soll nun versuchen, zu der gefühlten Bedeutung, zu der affektiven Bedeutung des Schemas kognitive Aspekte zu finden, die die affektive Bedeutung repräsentieren und er soll dies in einem intuitiv-holistischen Modus tun. Dazu dient folgende Instruktion:
Der Klient muss hier etwas realisieren, was in der Biofeedback-Forschung (Kröner-Herwig & Sachse, 1981) "passive Volition", passives Wollen genannt wird: Man hat die Intention, jetzt etwas zu finden und startet mit dieser Intention nun den Suchprozess; man lässt diesen dann aber "laufen", man sucht nun nicht bewusst und nicht zielgerichtet; es ist nicht wirklich gut beschreibbar, wie genau man diesen Vorgang psychisch umsetzt, man kann es aber subjektiv gut erleben. Der Klient konzentriert sich nun auf den "felt sense" und auf den - passiv ablaufenden - Suchprozess: Diese Aspekte stehen nun im Fokus. Die auslösende Situation ist nun (und muss) aus dem Fokus verschwunden (sein), der Klient sollte sich überhaupt auf gar nichts anderes als auf diese beiden Aspekte konzentrieren: Nicht auf die Therapiesituation (sie muss daher sicher sein), nicht auf die Therapiebeziehung (sie muss daher tragfähig sein!), nicht auf Geräusche usw.; der Klient sollte deshalb auch durch nichts abgelenkt werden! Klienten im Focusing-Prozess sind so stark konzentriert, dass sie sich gar nicht mehr bewegen und auch nichts anderes tun, als sich auf die Sache zu konzentrieren.

8.4 Prüfen und Weiterentwickeln
Sobald der Klient einen kognitiven Aspekt nennt (meist in Form einer Vorstellung, die nicht ein "konstruiertes", sondern ein spontan entstandenes Bild ist, manchmal auch in Form von Worten), regt der Therapeut eine Prüfung dieser Aspekte an der gefühlten, affektiven Bedeutung an. Instruktion:
Stimmt das Bild nicht mit der Empfindung überein, dann wird der Klient instruiert:
Stimmt das Bild teilweise überein, bildet die Bedeutung aber noch nicht wirklich alles ab, dann wird der Klient instruiert:
Der Klient entwickelt das Bild weiter: Bei jedem neuen Aspekt, den der Klient findet oder bei jeder Veränderung des Bildes wird der Klient wieder instruiert zu prüfen und das Bild sich wieder weiterentwickeln zu lassen. Auf diese Weise wird das Bild allmählich komplexer, es reichert sich zunehmend mit weiteren kognitiven Elementen an. Manchmal verschwindet auch das "alte" Bild und wird durch ein Neues ersetzt.

Dieser Prozess ist in der Regel sehr zeitaufwendig: Manchmal sind Bilder auch "wie eingefroren", ändern sich längere Zeit nicht; bleibt der Klient jedoch dabei, dann gerät das Bild wieder in Bewegung.
Nicht jede Weiterentwicklung des Bildes ist ein Fortschritt, d.h. nicht jedes neue Bild bildet die affektive Bedeutung des Schemas besser ab als das Alte: Es gibt Sackgassen und Fehlversuche. Jedoch wird das Bild dann mit der Zeit besser: Der Klient hat den Eindruck, dass das Bild die affektive Bedeutung, die er spürt, immer klarer und besser abbildet.

Hat der Klient schon ein Bild entwickelt (oder einen Begriff gefunden), der die affektive Bedeutung schon recht gut abbildet, aber noch nicht gut genug, dann kann der Klient nun von den jetzt gefundenen kognitiven Elementen aus gezielter suchen. Instruktion:
Hier versucht der Klient, von den gefundenen Kognitionen aus weitere kognitive Bedeutungen zu generieren, die die gefundenen Bedeutungen gezielt erweitern und anreichern: Das kann vielfach zu einem neuen Bild führen, das die affektive Bedeutung des Schemas tatsächlich besser "abdeckt". Hierbei ist es notwendig, dass der Klient weiter im intuitiv-holistischen Modus bleibt und nicht beginnt zu intellektualisieren. Daher ist es auch wichtig, diese "Bedeutungsgenerierung" nicht zu früh im Prozess anzuregen.

Diese Phase ist insgesamt in der Regel die längste Phase im Focusing-Prozess, da sich normalerweise mehrere Schleifen des Weiterentwickelns und Prüfens ergeben, bis eine wirklich stimme Übersetzung in Sprache erfolgt.

8.5 "Felt shift"
Der "felt shift" beendet den eigentlichen Focusing-Prozess. In der Praxis zeigt sich kurz vor dem Erleben des "felt shift" oft noch einmal eine Vermeidungsreaktion beim Klienten, wie zum Beispiel Schwindel. Dies sollte der Therapeut behutsam normalisieren und den Klienten anregen zu versuchen, die auftretenden Körperempfindungen zuzulassen und auszuhalten, soweit dies für den Klienten möglich ist.

Im Anschluss an den "felt shift" kann dann das "repräsentierte Schema" weiter therapeutisch bearbeitet werden.

9. Allgemeine Hinweise für den Therapeuten
Der Therapeut muss während des Focusing-Prozesses eine vollkommen andere Haltung einnehmen als im sonstigen therapeutischen Prozess, daher sollen hier noch einmal allgemeine Hinweise für die Haltung und das Vorgehen des Therapeuten zusammengefasst werden. Es soll auch darauf hingewiesen werden, dass der Focusing-Prozess Zeit kostet, d.h. wenn der Therapeut vorher weiß, dass Focusing angewendet werden soll, ist es ratsam, mit dem Klienten einen Doppelstunde zu vereinbaren. Dann ist ggf. auch noch Zeit, das nun "repräsentierte Schema" und durch den Prozess unmittelbar entstandene Emotionen oder Erkenntnisse mithilfe von Techniken der Klärungsorientierten Psychotherapie weiter zu bearbeiten.

Der Therapeut soll während des Focusing-Prozesses:
10. Umgang mit Problemen im Focusing-Prozess
Da der Focusing-Prozess eine hochsensible Angelegenheit darstellt, die, wie schon beschrieben, keinesfalls immer direkt funktioniert, können verschiedene Probleme auftreten, auf die der Therapeut bestenfalls funktional reagieren sollte.

Im Folgenden soll auf einige häufige Probleme und deren therapeutischen Umgangsmöglichkeiten eingegangen werden.

1) Der Klient kann sich allgemein nicht auf den Prozess einlassen:
In diesem Fall sollte der Therapeut zunächst mit dem Klienten die Ursachen hierfür generieren. Mögliche Ursachen könnten sein, dass der Klient noch nicht genug vertrauen zum Therapeuten hat. Es ist aber auch möglich, dass der Klient sich schämt, er die Situation "albern" findet, Angst hat oder andere Schemata oder Emotionen den Prozess blockieren. Hier ist es ggf. möglich, durch mehr Transparenz bzgl. des Vorgehens, dem Klienten Ängste zu nehmen und ein Verständnis für die Relevanz des Verstehens des affektiven Schemas zu schaffen. Möglicherweise kann es an dieser Stelle auch noch einmal wichtig sein herauszuarbeiten, wie relevant das dysfunktional affektive Schema für den Klienten tatsächlich ist und welche Kosten es verursacht. Häufig stehen den Klienten auch bestimmte Erwartungen oder Vorstellungen im Weg, sich auf den intuitiv-holistischen Modus einzulassen. Ungeduld oder die Vorstellung, "schnell etwas finden" zu müssen, können hierfür Beispiele sein.

Möglicherweise vermeidet der Klient aber auch, den negativen Affekt zu spüren der aber findet keinen Zugang hierzu.

Insgesamt lautet das therapeutische Vorgehen hier: Ursachen klären; entscheiden, ob eine Indikation für Focusing (überhaupt noch) gegeben ist; Motivation schaffen; neuer Anlauf. Hilfreich ist es auch, dem Klienten "Druck" zu nehmen, indem man erklärt, dass es sich bei Focusing zwar um ein hoch effektives, aber auch schwieriges Verfahren handelt, dass nicht immer funktioniert und dass man vorschlägt, es einfach mal auszuprobieren; dass es aber auch nicht schlimm ist, wenn es nicht funktioniert, dann könne man andere Therapietechniken anwenden.

2) Der Klient produziert "Körperbilder":
Bei der Übersetzung des "felt sense" in Bilder kann es passieren, dass der Klient "Körperbilder" entwickelt, das heißt Bilder (oder Wörter / Sätze), die ein Äquivalent zum Affekt darstellen, aber keinen Bedeutungszuwachs bringen. Beispiele hierfür wären: "Es fühlt sich an wie ein Stein im Magen." oder "Meine Beine fühlen sich an wie gelähmt.". Hierbei handelt es sich quasi um Analogisierungen des Affekts. Diese fühlen sich für den Klienten zwar logischerweise als zum Affekt "stimmig" an, führen aber in der Regel nicht zum "felt shift". Da man oft nicht auf den ersten Blick erkennen kann, ob es sich bei einem Bild "nur" um ein Körperbild oder bereits eine Übersetzung in das kognitive System handelt und eine Bedeutung generiert wird, ist es wichtig, dass der Klient das Bild weiter auf sich wirken lässt und schaut, ob es sich verändert, weiterentwickelt etc. Körperbilder entwickeln sich in der Regel nicht weiter und verändern sich nicht. Das heißt der Klient muss von hier aus behutsam angeregt werden, weitere neue zum Affekt passende Bilder oder Worte zu finden.

3) Der Klient intellektualisiert oder redet über die Situation:
Dies ist ein Zeichen dafür, dass der Klient sich nicht richtig auf den Prozess einlässt (siehe auch Punkt 1). Möglicherweise hat er aber auch nicht genau verstanden, was er tun soll. In der Regel sind wir es nicht gewohnt, "die Dinge einfach geschehen zu lassen", ohne gezielt ein Ergebnis produzieren zu müssen. Das heißt, diese passive Haltung ist ungewohnt und muss gegebenenfalls auch erst verstanden und "trainiert" werden. Hier können gezielte Instruktionen helfen, den Klienten im "intuitiv-holistischen" Modus zu halten. Dabei sind insbesondere passive Formulierungen hilfreich wie: "Lassen Sie etwas entstehen.".

4) Der Klient nutzt Metabewertungen:
Wenn der Klient beginnt, Kommentare "über" seine Situation zu machen, kann der Therapeut ebenfalls gezielt versuchen, den Klienten im Prozess zu halten. Metabewertungen können zum Beispiel sein: "Ich kann das nicht.", "Es passiert gar nichts", "Ich bin zu kontrolliert.". Normalisierende Aussagen des Therapeuten können hier helfen wie: " Versuchen Sie es noch eine Weile, das Ganze braucht Zeit, spüren Sie den Affekt noch? Bleiben sie dabei, schauen Sie, was passiert.", " Ich weiß, es ist nicht leicht, das ist normal, dass nicht sofort etwas passiert; wenn es geht, bleiben Sie noch einen Moment dabei und schauen Sie , was sich entwickelt.", "Schauen Sie mal, was passiert, wenn Sie sich nicht kontrollieren, was passiert dann?"

5) Der Klient spricht laut und schnell:
Siehe Punkt 1 und 4.

6) Der Klient entwickelt "automatische Bilder" oder ganze Geschichten:
Es kann vorkommen, dass bei Klienten nicht nur ein Bild oder Wort entsteht, sondern sich ganze Bilderfolgen oder lange Geschichten entwickeln. Dies ist okay, solange der Klient dabei weiterhin den Affekt spürt und die Bedeutung dahingehend überprüfen kann. Ist dies nicht der Fall, sollte der Klient immer wieder zum Affekt zurückgeführt werden, denn dann kann es sich bei der "Geschichte" auch um eine Art der Vermeidung handeln, die letztendlich nicht zu einer Übersetzung des Affekts ins kognitive System und so zu einem "felt shift" führt.

7) Der Klient entwickelt Lösungsbilder:
Manchmal kommt es vor, dass Klienten "Lösungsbilder" entwickeln. Da ein negativer Affekt in der Regel auch eher in Bilder oder Worte übersetzt werden kann, die für den Klienten ebenfalls unangenehm sind, wird bei einigen Klienten anscheinend eine Art Gegenregulationsprozess angestoßen und ein positiver Gegenaffekt wird angestoßen.

Dieses Entwickeln von Lösungen im Prozess ist kein Bestandteil des eigentlichen Focusing mehr, da es hierbei nicht mehr um die Übersetzung des "negativen" Affektes geht, das heißt man ist dann nicht mehr dabei, den ursprünglichen Affekt zu klären. Wenn der Therapeut befindet, dass dies aber wichtig wäre, ist es möglich, den Klienten anzuleiten, zum "Affekt" zurückzukehren.

Andererseits kann sich der Therapeut auch bewusst entscheiden, spontan entstehende Lösungsprozesse zuzulassen. Zum Beispiel, wenn der Klient lange nur negative Erfahrungen gemacht hat und der als negativ empfundene Affekt hohe Kosten verursacht hat. In diesem Fall kann es auch hilfreich sein, den Klient dazu anzuregen, den entstandenen positiven Gegenaffekt zu einem Lösungsbild "zu genießen". Unklar ist, ob das Entwickeln von Lösungsbildern nicht insgesamt sogar hilfreich ist, da das negative Schema so evtl. blockiert wird und ggf. eine Klärung gar nicht mehr notwendig ist. Dies ist aber eigentlich kein Bestandteil, des eigentlich Focusing- also Übersetzungsprozesses. Man könnte aber überlegen, ob dies evtl. zu einem späteren Zeitpunkt, bspw. im Rahmen einer Imaginationstechnik sinnvoll sein könnte.

8) Der Klient hat starke negative Empfindungen:
Der Therapeut kann in diesem Fall fragen, ob "es noch geht". Selbstverständlich ist es wichtig, dem Klienten die Kontrolle über die Fortführung oder Beendigung des Prozesses zu überlassen, das heißt, der Klient kann jederzeit selbst bestimmen, ob er den Affekt noch aushalten kann und weitermachen möchte. Signalisiert der Klient, dass eine Fortführung okay ist, kann der Therapeut wiederum unterstützende "saying back" Angebote machen und weiterfragen wie "Wenn es okay ist, schauen Sie mal, was sich entwickelt. Welche Bilder entstehen, wenn Sie so empfinden?".

Selten kann es vorkommen, dass der Focusing-Prozess erlebte traumatische Situationen reaktiviert und der Klient Erinnerungen wiedererlebt. Bei "kleineren, nicht sehr stark negativ emotional besetzten" Traumata kann das Wiedererlebte wichtige Hinweise auf die Schemaentstehung liefern. Wenn es für den Klienten in Ordnung ist und auch der Therapeut befindet, es verantworten zu können, kann hier im Prozess verblieben werden und weiter auf die Bedeutung des Erlebten geschaut werden. Nicht so bei schweren Traumatisierungen, wie bspw. Missbrauchserinnerungen (die im Prozess auch zu "flash backs" oder dissoziativen Zuständen führen können): hier ist es wichtig, sofort aus dem Focusing-Prozess auszusteigen, stabilisierende therapeutische Techniken anzuwenden und das Erinnerte ggf. im weiteren Therapieverlauf mit Techniken der Traumatherapie zu bearbeiten.

9) Der Klient erlebt keinen "felt shift":
Falls der Focusing-Prozess ansonsten erfolgreich verlaufen ist, ist dies ein Zeichen dafür, dass das genau stimmige Bild oder Wort noch nicht gefunden wurde, das heißt die genaue Affektbedeutung noch nicht erkannt worden ist. In diesem Fall ist es indiziert, weitere Therapiesitzungen für den Prozess zu nutzen.

10) Der Klient erlebt sich ständig ändernde Affekte:
Dass Affekte sich im Prozess verändern können, ist normal. Der Klient wird in diesem Fall angeleitet, immer vom aktuell vorliegenden Affekt ausgehend, "etwas entstehen zu lassen".

11. Bewertung des Focusing
Unserer Therapie- und Forschungserfahrung nach ist Focusing eine sehr effektive Methode, um an Inhalte affektiver Schemata zu kommen, die sich dem Klienten nicht erschließen und die sich auch durch "normale" Klärungsprozesse nicht ausreichend klären lassen: Focusing schafft gute kognitive Repräsentationen der Inhalte affektiver Schemata! Damit werden die relevanten affektiven Schemata auch sehr viel besser therapeutisch bearbeitbar, z.B. im Ein-Personen-Rollenspiel (Sachse et al., 2008).

Das "Problem" mit Focusing ist, dass es eine sehr voraussetzungsvolle Methode ist, denn Klienten können meist Focusing erst, wenn sie im Verlauf der Therapie die Voraussetzungen dafür erarbeitet haben. Schätzungsweise 90% der Klienten können Focusing in den ersten 10 Therapiestunden gar nicht, da sie zu stark vermeiden, zu stark kontrollieren, zu hohe Ausmaße von Spielstrukturen realisieren; bedauerlicherweise können aber wahrscheinlich 30-40% der Klienten Focusing auch gar nicht, weil sie im Verlauf der Therapie die Voraussetzungen dafür gar nicht erreichen können.

Damit muss man aber Focusing als eine gute Methode mit beschränktem Einsatzspektrum bezeichnen: Funktioniert Focusing bei Klienten, dann bringt es manchmal spektakuläre, fast immer aber deutliche therapeutische Fortschritte bei der Klärung relevanter affektiver Schemata; nur können viele Klienten die schwierige Methode oft nicht durchführen, obwohl sie sie dringend bräuchten! Focusing als allgemein anwendbare oder alleinige Therapiemethode zu betrachten ist aber wenig sinnvoll: Focusing ist eine sehr konstruktive Ergänzung einer Klärungsorientierten Psychotherapie, die richtig angewandt, gute therapeutische Fortschritte ermöglicht.


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Entnommen aus: Sachse, R. & Fasbender, J. (2011).
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