Einführung in die Klärungsorientierte Psychotherapie

Was ist Klärungsorientierte Psychotherapie?

• Grundannahme, Anwendungsbereiche und Kompatibilitäten Klärungsorientierter Psychotherapie

Indikation zur Klärungsorientierten Psychotherapie

Grundannahmen, Anwendungsbereiche und Kompatibilitäten Klärungsorientierter Psychotherapie
Rainer Sachse, Jana Fasbender und Meike Sachse

1. Einleitung
In diesem Kapitel sollen zunächst zentrale Grundannehmen der Klärungsorientierten Psychotherapie (KOP) dargestellt werden. Davon ausgehend soll des Weiteren darauf eingegangen werden, bei welchen Störungen bzw. in welchen Therapiephasen diese Anwendung finden kann.

Zuletzt soll erläutert werden, mit welchen anderen therapeutischen Richtungen und Techniken KOP kompatibel bzw. inkompatibel ist.

Das Kapitel hat damit zum Ziel, Psychotherapeuten ein tieferes Verständnis zu ermöglichen bzgl. der Anwendungsbereiche der KOP und der Kompatibilitäten und Kombinationsmöglichkeiten mit anderen therapeutischen Verfahren.

2. Grundannahmen
Klärungsorientierte Psychotherapie (KOP) basiert auf einer Reihe von Grundannahmen (vgl. Sachse, 1992, 1996, 2003a, 2003b, 2005a, 2005b, 2006a; Sachse et al., 2009). Einige davon sollen hier als Basis für die folgenden Erläuterungen explizit gemacht werden:

  1. Schemata spielen bei vielen psychischen Problemen eine zentrale Rolle. Wir gehen davon aus, dass psychische Probleme auf psychologisch beschreibbare Prozesse zurückgehen: Psychische Probleme wie Ängste, Niedergeschlagenheit, Unzufriedenheit, problematisches Interaktionsverhalten usw., die (mehr oder weniger direkt) beobachtbar sind (die sog. "Oberflächenmerkmale"), sind demnach durch psychische Prozesse bedingt, die "im" Klienten ablaufen und die daher nicht beobachtbar, jedoch erschließbar sind (die sog. "Tiefenmerkmale") und die sich konsistent mit psychologischen Konzepten beschreiben und mittels psychologischer Theorien erklären lassen. Wichtige Determinanten dieser relevanten psychologischen Prozesse sind Schemata: Schemata determinieren in hohem Maße die Informationsverarbeitung, die Affekte und Emotionen und die Handlungsregulation. Bei psychischen Problemen determinieren Schemata in hohem Maße ungünstige Informationsverarbeitung, dysfunktionale Affekte und Emotionen und dysfunktionales Handeln.

    Natürlich gehen nicht alle psychischen Probleme (zentral) auf Schemata zurück, aber sehr viele: Daher spielen Schemata in der Psychotherapie eine zentrale Rolle.

  2. Schemata müssen repräsentiert sein, um bearbeitet und verändert werden zu können.

    Um relevante, problem(mit)determinierende Schemata therapeutisch verändern zu können, müssen sie zuerst valide repräsentiert sein: Klienten und Therapeuten müssen wissen, wie genau die Schemata heißen, also: "Was genau in den Schemata steht." Der Prozess, in dem und durch den Schemata repräsentiert werden, bezeichnen wir in der KOP als Explizierungs- oder Klärungsprozess. Somit ist es nötig, relevante Schemata therapeutisch zu klären: Dieser Schritt geht dem Schritt einer Bearbeitung von Schemata logisch voraus. Diese Schemata müssen "valide" repräsentiert sein, d.h. die Repräsentation eines Schemas muss auch wirklich das abbilden, was in dem Schema steht: Nur so ist gewährleistet, dass man im Prozess der Bearbeitung und Veränderung der Schemata auch wirklich die relevanten, also die tatsächlich problemdeterminierenden Schemata bearbeitet.

  3. Klienten sind nicht in der Lage, von sich aus Schemata zu klären.

    Aus theoretischen und (vor allem) aus empirischen Gründen (zu den Prozessstudien siehe Sachse & Sachse, 2009) gehen wir davon aus, dass Klienten ohne gezielte therapeutische Hilfe nicht in der Lage sind, Schemata selbst zu klären. Klienten stellen meist immer wieder die falschen Fragen und geben die falschen Antworten: Sie "sitzen in ungünstigen Bearbeitungen fest".

    Auch aus Kapazitätsgründen ist es Klienten nicht möglich, gleichzeitig einen Prozess der Schema-Klärung durchzuführen und diesen Prozess zu überwachen und zu steuern: Daher müssen diese Aufgaben auf zwei Personen, Therapeut und Klient, verteilt werden.

  4. Daher müssen Therapeuten Klärung gezielt anleiten und müssen dabei bestimmte Strategien anwenden.

    Da Klienten den Prozess nicht selber steuern können, müssen Therapeuten dies tun: Therapeuten müssen daher Prozessexperten sein und müssen bestimmte therapeutische Strategien verwenden, um den Klärungsprozess gezielt anzuleiten. Empirische Studien (vgl. Sachse & Sachse, 2009) machen deutlich, wie Therapeuten vorgehen sollten, um bei Klienten Klärungsprozesse optimal zu fördern. Therapeuten müssen daher über dieses Wissen und über diese Kompetenzen verfügen.

  5. Klienten öffnen sich und arbeiten konstruktiv an Klärung nur dann, wenn eine vertrauensvolle Therapeut-Klient-Beziehung besteht.

    Daher ist eine aktive Beziehungsgestaltung durch den Therapeuten zentral wichtig. Vor dem Klärungsprozess muss in einer ersten Therapiephase zunächst eine vertrauensvolle Beziehung zum Klienten hergestellt werden, und der Therapeut muss während der gesamten Therapie eine aktive Form der Beziehungsgestaltung aufrecht erhalten. Auch hier müssen Therapeuten die Beziehung zum Klienten nach bestimmten Vorgehensweisen gestalten und auch über diese Kompetenzen müssen sie verfügen.

  6. Die Schemata von Klienten sind hochgradig idiosynkratisch. Es ist psychologisch zwar möglich, Schemata allgemein zu klassifizieren (vgl. Sachse et al., 2009), und diese Klassifikation stellt für Therapeuten auch eine wertvolle Heuristik dar; im Detail sind Klienten-Schemata jedoch hochgradig idiosynkratisch. Daher müssen die relevanten Schemata jedes Klienten mit diesem Klienten im Detail rekonstruiert werden: Erst wenn klar ist, was genau "im Schema dieses speziellen Klienten steht", kann ein Veränderungsprozess starten.


3. Folgerungen
Aus den Grundannahmen folgen zentrale therapeutische Prinzipien: 4. Anwendungsbereiche Klärungsorientierter Psychotherapie
Wir möchten nun die Anwendungsbereiche von KOP spezifizieren, also der Frage nachgehen, wann und unter welchen Bedingungen KOP als Therapieform sinnvoll angewandt werden kann.

4.1 Schemata
Einen ersten Anwendungsbereich der KOP kann man definieren über das Vorliegen von dysfunktionalen Schemata: KOP ist sinnvoll anwendbar, wenn bei einem Klienten ein Problem auf ein Schema zurückgeführt werden kann: In diesem Fall ist es sinnvoll, das Schema zu klären und es zu bearbeiten. Dies kann störungsspezifisch geschehen, d.h. unabhängig davon, mit welcher Diagnose der Klient in die Therapie kommt, kann überprüft werden, ob beim Klienten dysfunktionale Schemata vorliegen, die das Problem (mit)determinieren.

Dabei können vier Arten von Schemata eine Rolle spielen:
  1. Dysfunktionale Selbst-Schemata: Dysfunktionale Selbst-Schemata sind Netze von Annahmen, die sich auf die Person des Klienten beziehen, auf Eigenschaften, Fähigkeiten, Attraktivitäten u.a. Dabei sind diese Annahmen negativ: Sie spezifizieren Inkompetenzen, mangelnde Attraktivitäten u.a. bis hin zu sog. Toxizitätsschemata, also Schemata, in denen die Person sich selbst als lästig, belastend, toxisch für andere definiert. Es sind Schemata mit Annahmen wie "ich bin ein Versager", "ich bin inkompetent", "ich bin nicht wichtig", "ich habe anderen nichts zu bieten", "ich kann meine Grenzen nicht schützen" u.a.

  2. Dysfunktionale Beziehungsschemata: Dies sind Schemata mit Annahmen über Beziehungen, also Annahmen darüber, wie Beziehungen funktionieren bzw. darüber, was man in Beziehungen zu erwarten bzw. nicht zu erwarten hat: Auch diese Annahmen sind negativ wie z.B. "in Beziehungen wird man abgewertet", "Beziehungen sind nicht verlässlich", "andere überschreiten meine Grenzen", "andere determinieren mich" u.ä.

  3. Kompensatorische Norm-Schemata: Dies sind Schemata, die Klienten veranlassen sollen, Dinge zu tun ("Antreiber") und vor allem, Dinge zu vermeiden; sie dienen vor allem dazu, das Eintreten negativer Annahmen von Selbst-Schemata zu verhindern (daher "kompensatorisch"). Diese Schemata sind als Imperative formuliert und sie definieren immer Vermeidungsziele. Beispiele sind: "Sei der Beste", "sei die Wichtigste", "vermeide Abwertung", "achte immer auf deine Grenzen", "sei erfolgreich" u.a. Norm-Schemata können auch "muss"-, "darf nicht"- oder "soll"-Konstruktionen aufweisen, z.B.: "Ich muss die Beste sein.", "Ich darf auf keinen Fall versagen." In der Sprachwahl der Klienten sind diese zuweilen auch allgemeiner formuliert und so "getarnt" als allgemeingültige Normkonstruktionen wie: "Man muss doch...", "man darf nicht...".

  4. Kompensatorische Regel-Schemata: Bei diesen Schemata werden Regeln für andere definiert: Regeln darüber, wie andere die Person zu behandeln haben, was sie zu tun oder zu lassen haben. Diese Schemata dienen im Wesentlichen dazu, die negativen Konsequenzen dysfunktionaler Beziehungsschemata zu vermeiden. Beispiele sind: "Ich will nicht behindert werden", "ich will auf jeden Fall respektvoll behandelt werden", "keiner überschreitet meine Grenzen ohne Erlaubnis" u.a.


Für viele Störungen wie Persönlichkeitsstörungen (Sachse, 1999a, 2000c, 2001a, 2001b, 2002, 2004a, 2004b, 2005c, 2006b, 2006c, 2007a, 2008a), psychosomatische Störungen (Sachse, 1990, 1991a, 1991b, 1993, 1994, 1995a, 1995b, 1995c, 1997a, 1997b, 1998, 1999b, 2006d, 2007b) oder Depressionen (Sachse, 2000b) haben wir im Detail herausgearbeitet, wie genau Schemata dieser Art Probleme von Klienten determinieren, also Theorien über die Relevanz der Schemata in der Entstehung und Aufrechterhaltung von Störungen entwickelt. Wir haben auch Techniken zur Klärung (Sachse, 1986a, 1986b, 1987, 1988, 1991b, 1992, 1999c, 2000a, 2003a, 2003b, 2004c, 2005a, 2005b, 2006a, 2008b; Sachse et al., 2009) und zur Bearbeitung dieser Schemata (Sachse, 1983, 2006b; Breil & Sachse, 2009; Sachse et al., 2008) im Rahmen der KOP entwickelt.

4.2 Psychische Störungen
Man kann Anwendungsbereiche von KOP aber auch nach psychischen Störungen definieren: Dann kann man alle Störungen aufführen, bei denen Schemata oder Alienationen eine wesentliche Rolle spielen:

Es bleibt zu vermerken, dass sich unserer Erfahrung nach bei nahezu allen Klienten mit psychischen Problemen dysfunktionale Schemata aufweisen lassen, die bei der Störungsgenese und -aufrechterhaltung eine entscheidende Rollen spielen können. Ein Therapiekonzept, das Schemaklärung und -bearbeitung beinhaltet, kann daher u.E. auch bei anderen Störungsbildern indiziert sein und wertvolle Fortschritte im Therapieprozess bieten.

4.3 Therapie-Bereiche
Auch innerhalb von Therapie-Bereichen oder Therapie-Prozessen lassen sich Anwendungsbereiche von KOP definieren.

  1. Beziehungsgestaltung
    Will ein Therapeut eine effektive Beziehungsgestaltung mit einem Klienten realisieren, um eine vertrauensvolle Klient-Therapeut-Beziehung zu etablieren und um "Beziehungskredit" zu schaffen, dann kann er entsprechende Techniken der KOP verwenden: Techniken der allgemeinen und Techniken der komplementären Beziehungsgestaltung.

  2. Klären von Schemata
    Ein essentieller Arbeitsschwerpunkt der KOP liegt in den Techniken zur Klärung, Herausarbeitung und Repräsentation von Schemata: Hier hat die KOP sehr detaillierte therapeutische Strategien entwickelt, mit deren Hilfe Therapeuten die "Explizierungsprozesse" von Klienten steuern können; und hier wurden in der KOP sehr viele differenzierte Prozessstudien durchgeführt, die die Effektivität dieser Strategien belegen (Sachse & Sachse, 2009).

  3. Bearbeitung von Alienation
    In der KOP wurden Techniken entwickelt, mit deren Hilfe Klienten eigene Motive klären und repräsentieren können und mit deren Hilfe sie wichtige Motive und Ziele repräsentieren können. Mit Hilfe dieser Techniken können Klienten eine Alienation effektiv abbauen und damit viele Aspekte von Unzufriedenheit und psychischer Belastung reduzieren.

  4. Bearbeitung von Schemata
    In der KOP wurde ein spezielles Verfahren entwickelt (Sachse, 1983) und weiterentwickelt (Sachse et al., 2008), mit dessen Hilfe sich Schemata sehr effektiv bearbeiten und verändern lassen und zwar sowohl kognitive Schemata oder Schema-Anteile, als auch affektive Schemata oder Schema-Anteile.

  5. Explikationen
    Aufgrund sprachpsychologischer und kognitionstheoretischer Modelle wurde in der KOP die Technik der "Explikation" entwickelt: Dabei rekonstruiert ein Therapeut mit Hilfe seines psychologischen Wissens und mit Hilfe seines Klienten-Modells wichtige psychische Determinanten eines Klienten (z.B. Aspekte von Beziehungsmotiven, von Schemata, von Zielen u.a.), die dem Klienten selbst noch nicht klar sind und formuliert diese Aspekte dann stellvertretend für den Klienten. Dabei fordert er den Klienten immer auf, diese Formulierungen auf Stimmigkeit zu prüfen, also nicht einfach "zu übernehmen", sondern "zu integrieren". Durch solche therapeutischen Interventionen können im Explizierungsprozess geradezu "Quanten-Sprünge" erzeugt werden (vgl. das Kapitel 6 in diesem Band).

  6. Konfrontationen
    In der KOP wurden spezielle Vorgehensweisen der Konfrontation entwickelt: Durch Konfrontationen macht ein Therapeut einen Klienten auf Aspekte aufmerksam, die nach Auffassung des Therapeuten für das Problem und damit für das Verstehen und für die Bearbeitung des Problems hoch relevant sind, die der Klient bisher jedoch nicht wahrgenommen oder ernst genommen hat bzw. die er nicht wahrnehmen wollte.

  7. Umgang mit Vermeidung
    In der KOP wurden, insbesondere im Bereich der Therapie mit psychosomatischen Klienten, Strategien zum Umgang mit Vermeidung entwickelt. Dabei wurde eine Theorie über "internale", kognitive Vermeidung entwickelt, bei der Klienten es systematisch vermeiden, sich mit unangenehmen Selbst-Aspekten zu konfrontieren; es wurde eine Taxonomie von Vermeidungsstrategien entwickelt und es wurden spezielle Strategien zum Umgang und zur Bearbeitung von Vermeidung entwickelt.

  8. Umgang mit Spielverhalten
    In der KOP wurde, in Anlehnung an die Theorie des "impression management" (vgl. Mummendey, 1995; Sachse, Sachse & Fasbender, 2010), eine Theorie über manipulatives Interaktionsverhalten, sog. "Spielverhalten" ("games") entwickelt, insbesondere im Rahmen der Theorie von Persönlichkeitsstörungen. Ausgehend davon wurden Vorgehensweisen zur Analyse sogenannter "Images" und sogenannter "Appelle" entwickelt, mit deren Hilfe Personen manipulative Strategien kommunizieren. Und es wurden spezifische therapeutische Strategien zum Umgang und zur Bearbeitung solcher manipulativer Verhaltensweisen entwickelt.

  9. Umgang mit schwierigen Interaktionssituationen
    Klienten realisieren im Therapieprozess immer wieder spezielle Interaktionssituationen, die den Rahmen "normaler" therapeutischer Interaktion verlassen und Therapeuten in Handlungsschwierigkeiten bringen. In der KOP wurden spezielle Handlungsstrategien zum Umgang mit solchen schwierigen Interaktionssituationen entwickelt.


5. Kombinationen und Kompatibilitäten
Wesentlich ist auch die Frage, mit welchen Therapieverfahren oder -methoden KOP kombinierbar ist, also welche Verfahren gleichzeitig bzw. parallel mit KOP angewandt werden können. Und auch die Frage der Kompatibilität, also die Frage, welche Verfahren können vor oder nach einer KOP angewandt werden, ohne dass Klienten dadurch irritiert, verwirrt, in Schwierigkeiten gebracht werden: Dies ist die Frage danach, ob sich das Rational von Verfahren widerspricht oder "beißt" oder ob aus den Verfahren widersprüchliche Vorgehensweisen abgeleitet werden.

KOP lässt sich ohne Weiteres mit einer Reihe von Therapiemaßnahmen kombinieren und ist mit einigen Therapieverfahren kompatibel.

Mit "kompatibel" meinen wir, dass "neben" oder nach KOP noch andere Verfahren mit einem Klienten angesetzt werden können, ohne dass die Verfahren "sich beißen", dass also Klienten verwirrt, irritiert oder geschädigt werden. Mit "kombinierbar" meinen wir, dass KOP und andere Verfahren nacheinander angewandt werden können, wobei jedes Verfahren bestimmte therapeutische Ansatzpunkte hat und bestimmte therapeutische Ziele verfolgt.

Die Kombination verschiedener Verfahren kann sogar einen Gewinn für den Therapieerfolg darstellen. Wichtig ist, dass der Therapeut in der Lage ist, durch sein Expertenwissen zu entscheiden, welche Techniken, wann und für welchen Klienten indiziert sind, d.h. es muss deutlich sein, dass verschiedene Verfahren und Techniken in ein individuelles Störungsmodell für den speziellen Klienten eingebettet und begründbar sind.

Kompatibel ist KOP mit "klassischer Verhaltenstherapie": So können im Anschluss an eine (oder vor einer) Schema-Klärung und -Bearbeitung ohne Weiteres mit einem Klienten eine Reiz-Konfrontation, eine Panik-Behandlung, ein Kompetenztraining oder andere lösungsorientierte, verhaltenstherapeutische Techniken durchgeführt werden: Man kann den Klienten das Vorgehen erläutern und ihnen deutlich machen, warum man was macht. Die Vorgehensweisen widersprechen sich nicht, schließen sich nicht aus und ihre Kombination bringt die Klienten auch nicht in Schwierigkeiten oder in Konflikte.

Kombinierbar ist KOP z.B. mit Kognitiver Therapie: In der Phase der Bearbeitung von Schemata können verschiedene Methoden kognitiver Therapie z.B. sehr gut ins Ein-Personen-Rollenspiel integriert werden und dieses ergänzen.

Kombinierbar ist KOP mit Focusing (siehe Kapitel 7 in diesem Band), mit Methoden der Imagination (siehe Kapitel 12 in diesem Band), mit Methoden der Achtsamkeit (vgl. Fasbender, 2009), mit Aspekten der "process-experiential psychotherapy" (vgl. Greenberg, 1984a, 1984b; Greenberg & Elliott, 1997; Greenberg & Paivio, 1997; Greenberg et al., 1993).

Schlecht kompatibel ist KOP dagegen mit Aspekten der rational-emotiven Therapie (RET; Ellis, 1979a, 1979b; Ellis & Grieger, 1979), da die RET z.T. Affekte und Emotionen als "irrational" bekämpft, während die KOP Affekte und Emotionen als hoch relevante Informationsquellen ansieht, die man nutzen und mit denen man konstruktiv arbeiten sollte. Nach Ansicht der KOP ist eine Kognition dann problematisch, wenn sie zu Kosten führt, die der Klient nicht will, nicht, weil sie "irrational" ist: Alle Affekte sind "irrational" (das macht sie aus!), dennoch sind viele Affekte hochgradig funktional. In der KOP werden auch Disputationen, wie die RET sie führt, sich grundsätzlich mit Prinzipien der Beziehungsgestaltung "beißen": Aus der Sicht der KOP werden letztere in der RET nicht immer funktional angewandt. KOP-Therapeuten sollten ihren Klienten auch nie vorschreiben, was sie denken sollen: Ein Therapeut ist ein "Katalysator" für Prozesse, kein "Priester", der sagt, was richtig und was falsch ist.

Schlecht kompatibel ist KOP auch mit manchen tiefenpsychologischen Vorgehensweisen, z.B. mit dem "Deuten": Da KOP das Ziel hat, affektive und kognitive Schemata bei einem Klienten valide zu repräsentieren und dem Klienten nicht "allgemeine theoretische Erkenntnisse aufzuoktruieren", kann ein Therapeut nicht "deuten"; er kann auch das Nicht-Annehmen einer Deutung nicht als "Widerstand" interpretieren. In der KOP herrscht außerdem eine starke Tendenz zur Entpathologisierung und zur Ressourcenorientierung vor. Hierauf wird u.E. in tiefenpsychologischen/psychoanalytischen Ansätzen nicht immer zentral der Blickwinkel gelegt.

Weitere Möglichkeiten der Kombination und Kompatibilität sollen zukünftig geprüft werden. So wird z.B. auch die Möglichkeit in Betracht gezogen, KOP mit anderen schematherapeutischen Ansätzen und Techniken wie der "Schematherapie" nach Young et al. (2005) kombinieren zu können. Da Youngs Ansatz ein anderer Theorierahmen zugrunde liegt, sind es ggf. vor allem einzelne Techniken der Schemabearbeitung, die ggf. zur KOP kompatibel sein können.

Insgesamt versteht sich die KOP als Weiterentwicklung der Verhaltenstherapie im Rahmen der dritten Welle der VT als ein therapeutischer Ansatz, der andere Verfahren durchaus kombinieren und ggf. auch integrieren kann; d.h. obwohl die KOP für sich genommen ein eigenes Therapieverfahren mit sowohl klärungs-, als auch lösungsorientierten Techniken ist, wird versucht, auf dem Weg zu einer "Psychologischen Psychotherapie" andere therapeutische Verfahren und Techniken nicht zu exkludieren, sondern zu integrieren, solange eine Kompatibilität gegeben ist und mit der Kombination dem Klienten bestmöglich geholfen werden kann.


Literatur

Beck, A.T. (1979). Wahrnehmung der Wirklichkeit und Neurose. München: Pfeiffer.

Beck, A.T., Rush, A.J., Shaw, B.F. & Emery, G. (1981). Kognitive Therapie der Depression. München: Urban & Schwarzenberg.

Breil, J. & Sachse, R. (2009). Ein-Personen-Rollenspiel (EPR). In: S. Fliegel & A. Kämmerer (Hrsg.), Psychotherapeutische Schätze II, 49-53. Tübingen: dgvt-Verlag.

Ellis, A. (1979a). Das ABC der rational-emotiven Therapie. In: R. van Quekelberghe (Hrsg.), Modelle kognitiver Therapien, 38-48. München: Urban & Schwarzenberg.

Ellis, A. (1979b). Die wichtigsten Methoden der rational-emotiven Therapie. In: A. Ellis & R. Grieger (Hrsg.), Handbuch der rational-emotiven Therapie, 155-165. München: Urban & Schwarzenberg.

Ellis, A. & Grieger, R. (1979). Handbuch der rational-emotiven Therapie. München: Urban & Schwarzenberg.

Fasbender, J. (2009). Achtsamkeit in der Klärungsorientierten Psychotherapie. In: R. Sachse, J. Fasbender, J. Breil & O. Püschel (Hrsg.), Grundlagen und Konzepte Klärungsorientierter Psychotherapie. Göttingen: Hogrefe.

Greenberg, L.S. (1984a). A Task Analysis of Intrapersonal Conflict Resolution. In: L.N. Rice & L.S. Greenberg (Eds.), Patterns of Change. Intensive Analysis of Psychotherapy Process, 67-123. New York: Guilford Press.

Greenberg, L.S. (1984b). Task Analysis: The General Approach. In: L.N. Rice & L.S. Greenberg (Eds.), Patterns of Change. Intensive Analysis of Psychotherapy Process, 124-148. New York: Guilford Press.

Greenberg, L.S. & Elliott, R. (1997). Varieties of Empathic Responding. In: A.C. Bohart & L.S. Greenberg (Eds.), Empathy Reconsidered - New Directions in Psychotherapy, 167-186. Washington, DC: American Psychological Association.

Greenberg, L.S. & Paivio, S.C. (1997). Working with Emotions in Psychotherapy. New York: Guilford Press.

Greenberg, L.S., Rice, L.N. & Elliott, R. (1993). Facilitating emotional change: The moment-by-moment process. New York: Guilford.

Mummendey, H.D. (1995). Psychologie der Selbstdarstellung. Göttingen: Hogrefe. Sachse, R. (1983). Das Ein-Personen-Rollenspiel: Ein integratives Therapieverfahren. Partnerberatung, 4, 187-200.

Sachse, R. (1986a). Selbstentfaltung in der Gesprächspsychotherapie mit vertiefenden Interventionen. Zeitschrift für Personenzentrierte Psychologie und Psychotherapie, 5, 183-193.

Sachse, R. (1986b). Was bedeutet "Selbstexploration" und wie kann ein Therapeut den Selbstklärungsprozeß des Klienten fördern? Versuch einer theoretischen Klärung mit Hilfe sprachpsychologischer Konzepte. GwG-Info 64, 33-52.

Sachse, R. (1987). Wat betehent zeffexploratie en hoe kann een therapeut het zelfexploratic proces von de client bevonderen? Psychotherapeutisch Paspoort, 4, 71-93.

Sachse, R. (1988). Das Konzept des empathischen Verstehens: Versuch einer sprachpsychologischen Klärung und Konsequenzen für das therapeutische Handeln. In: GwG (Hrsg.), Orientierung an der Person: Diesseits und Jenseits von Psychotherapie, Bd. 2, 162-174. Köln: GwG.

Sachse, R. (1990). Schwierigkeiten im Explizierungsprozeß psychosomatischer Klienten: Zur Bedeutung von Verstehen und Prozeßdirektivität. Zeitschrift für Klinische Psychologie, Psychopathologie und Psychotherapie, 38, 191-205.

Sachse, R. (1991a). Probleme und Potentiale in der gesprächspsychotherapeutischen Behandlung psychosomatischer Klienten. In: J. Finke & L. Teusch (Hrsg.), Gesprächspsychotherapie bei Neurosen und Psychosomatischen Erkrankungen, 197-215. Heidelberg: Asanger.

Sachse, R. (1991b). Gesprächspsychotherapie als "affektive Psychotherapie": Bericht über ein Forschungsprojekt. Teil 1 in GwG-Zeitschrift 83, 30-42. Teil 2 in GwG-Zeitschrift 84, 32-40.

Sachse, R. (1992). Zielorientierte Gesprächspsychotherapie - Eine grundlegende Neukonzeption. Göttingen: Hogrefe.

Sachse, R. (1993). Gesprächspsychotherapie mit psychosomatischen Klienten: Eine theoretische Begründung der Indikation. In: L. Teusch und J. Finke (Hrsg.), Die Explizierung der Krankheitslehre der Gesprächspsychotherapie auf der Ebene eines sprachpsycho-logischen Modells, 173-193. Heidelberg: Asanger.

Sachse, R. (1994). Veränderungsprozesse im Verlauf Klientenzentrierter Behandlung psychosomatischer Patienten. In: K. Pawlik (Hrsg.), 39. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, 601-602. Hamburg: Psychologisches Institut I der Universität Hamburg.

Sachse, R. (1995a). Der psychosomatische Klient in der Praxis: Grundlagen einer effektiven Therapie mit "schwierigen" Klienten. Stuttgart: Kohlhammer.

Sachse, R. (1995b). Psychosomatische Störungen als Beeinträchtigung der Selbstregulation. In: S. Schmidtchen, G.-W. Speierer & H. Linster (Hrsg.), Die Entwicklung der Person und ihre Störung, 2, 83-116. Köln: GwG.

Sachse, R. (1995c). Zielorientierte Gesprächspsychotherapie: Effektive psychotherapeutische Strategien bei Klienten und Klientinnen mit psychosomatischen Magen-Darm-Erkrankungen. In: J. Eckert (Hrsg.), Forschung zur Klientenzentrierten Psychotherapie: Aktuelle Ansätze und Ergebnisse, 27-49. Köln: GwG.

Sachse, R. (1996). Praxis der Zielorientierten Gesprächspsychotherapie. Göttingen: Hogrefe.

Sachse, R. (1997a). Clientgerichte Psychotherapie bij psychosomatische stoornissen. Tijdschrift voor Clientgerichte Psychotherapie, 35, 5-32.

Sachse, R. (1997b). Zielorientierte Gesprächspsychotherapie bei Klienten mit psychosomatischen Störungen. Therapiekonzepte und Ergebnisse. Gesprächspsychotherapie und Personenzentrierte Beratung, 28, 90-107.

Sachse, R. (1998). Goal-oriented Client-centered Psychotherapy of Psychosomatic Disorders. In: L. Greenberg, J. Watson & G. Lietaer (Eds.), Handbook of experiential Psychotherapy, 295-327. New York: Guilford.

Sachse, R. (1999a). Persönlichkeitsstörungen. Psychotherapie dysfunktionaler Interaktionsstile. Göttingen: Hogrefe, 2. Auflage.

Sachse, R. (1999b). Psychotherapie psychosomatischer Magen-Darm-Erkrankungen. Psycho-logische und somatische Veränderungen und Reduktion der Gesundheitskosten. Ruhr-Universität Bochum, Fakultät für Psychologie.

Sachse, R. (1999c). Lehrbuch der Gesprächspsychotherapie. Göttingen: Hogrefe.

Sachse, R. (2000a). Gesprächspsychotherapie. In: J. Straut, A. Kochinka & H. Werbik (Hrsg.), Psychologie in der Praxis, 183-208. München: Deutscher Taschenbuch-Verlag.

Sachse, R. (2000b). Klärungsorientierte Psychotherapie bei depressiven Störungen. In: Lasar, M. & Trenkmann, U. (Hrsg.), Depressionen - Neue Befunde aus Klinik und Wissenschaft, 21-36. Lengerich: Pabst.

Sachse, R. (2000c). Der Einfluss von Persönlichkeitsstörungen auf den Therapieprozess. In: Parfy, E., Rethenbacher, H., Sigmund, R., Schoberger, R. & Butschek, C. (Hrsg.), Bindung und Interaktion. Dimensionen der professionellen Beziehungsgestaltung, 85-111. Wien: Facultas.

Sachse, R. (2001a). Persönlichkeitsstörung als Interaktionsstörung: Der Beitrag der Gesprächspsychotherapie zur Modellbildung und Intervention. Psychotherapie, 5, 2, 282-292. Sachse, R. (2001b). Psychologische Psychotherapie der Persönlichkeitsstörungen. Göttingen: Hogrefe.

Sachse, R. (2002). Histrionische und narzisstische Persönlichkeitsstörungen. Göttingen: Hogrefe.

Sachse, R. (2003a). Klärungsorientierte Psychotherapie. Göttingen: Hogrefe.

Sachse, R. (2003b). Von der Gesprächspsychotherapie zur Klärungsorientierten Psychotherapie. Bochum: Institut für Psychologische Psychotherapie.

Sachse, R. (2004a). Histrionische und narzisstische Persönlichkeitsstörungen. In: R. Merod (Hrsg.), Behandlung von Persönlichkeitsstörungen, 357-404. Tübingen: DGVT-Verlag.

Sachse, R. (2004b). Persönlichkeitsstörungen. Leitfaden für eine Psychologische Psychotherapie. Göttingen: Hogrefe.

Sachse, R. (2004c). From client-centered to clarification-oriented Psychotherapy. Person-Centered and Experiential Psychotherapies, 3, 1: 19-35.

Sachse, R. (2005a). Motivklärung durch Klärungsorientierte Psychotherapie. In: J. Kosfelder, J. Michalak, S. Vocks & U. Willutzki (Hrsg.), Fortschritte der Psychotherapieforschung, 217-231. Göttingen: Hogrefe.

Sachse, R. (2005b). Von der Gesprächspsychotherapie zur Klärungsorientierten Psychotherapie: Kritik und Weiterentwicklung eines Psychotherapiekonzeptes. Lengerich: Pabst Science Publishers.

Sachse, R. (2005c). Was wirkt in der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen? In: N. Saimeh (Hrsg.), Was wirkt? Prävention - Behandlung - Rehabilitation, 222-229. Bonn: Psychiatrie-Verlag.

Sachse, R. (2006a). Klärungsorientierte Psychotherapie. In: R. Sachse & P. Schlebusch (Hrsg.), Perspektiven Klärungsorientierter Psychotherapie, 15-45. Lengerich: Pabst.

Sachse, R. (2006b). Die Bearbeitung dysfunktionaler Schemata im Ein-Personen-Rollenspiel. In: R. Sachse & P. Schlebusch (Hrsg.), Perspektiven Klärungsorientierter Psychotherapie, 255-280. Lengerich: Pabst.

Sachse, R. (2006c). Narzisstische Persönlichkeitsstörungen. Psychotherapie, 11 (2): 241-246.

Sachse, R. (2006d). Psychologische Psychotherapie bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Göttingen: Hogrefe.

Sachse, R. (2006e). Therapeutische Beziehungsgestaltung. Göttingen: Hogrefe.

Sachse, R. (2007a). Therapie der narzisstischen und histrionischen Persönlichkeitsstörungen: Zwei Fallberichte. In: S. Barnow (Hrsg.), Persönlichkeitsstörungen: Ursachen und Behandlungen, 404-410. Bern: Huber.

Sachse, R. (2007b). Klärungsorientierte Psychotherapie bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. In: J. Kriz & Th. Slunecko (Hrsg.), Gesprächspsychotherapie, 286-294. Wien: Facultas UTB.

Sachse, R. (2008a). Histrionische und narzisstische Persönlichkeitsstörung. In: M. Hermer & B. Röhrle (Hrsg.), Handbuch der therapeutischen Beziehung, Bd. 2, 1105-1125. Tübingen: DGVT-Verlag.

Sachse, R. (2008b). Klärungsprozesse in der Psychotherapie. In: J. Margraf & S. Schneider (Hrsg.), Lehrbuch der Verhaltenstherapie, 3. Auflage, 227-232. Berlin: Springer.

Sachse, R., Fasbender, J., Breil, J. & Püschel, O. (2009). Grundlagen und Konzepte Klärungsorientierter Psychotherapie. Göttingen: Hogrefe.

Sachse, R., Püschel, O., Fasbender, J. & Breil, J. (2008). Klärungsorientierte Schema-Bearbeitung - Dysfunktionale Schemata effektiv verändern. Göttingen: Hogrefe.

Sachse, R. & Sachse, M. (2009). Klärungsorientierte Psychotherapie: Empirische Ergebnisse und Schlussfolgerungen für die Praxis. In: R. Sachse, J. Fasbender, J. Breil & O. Püschel (Hrsg.), Grundlagen und Konzepte Klärungsorientierter Psychotherapie, 232-247. Göttingen: Hogrefe.

Sachse, R., Sachse, M. & Fasbender, J. (2010). Klärungsorientierte Psychotherapie bei Persönlichkeitsstörungen. Göttingen: Hogrefe.

Schlebusch, P., Kuhl, J., Breil, J. & Püschel, O. (2006). Alkoholismus als Störung der Affektregulation. In: R. Sachse & P. Schlebusch (Hrsg.), Perspektiven Klärungsorientierter Psychotherapie, 60-118. Lengerich: Pabst.

Young, J.E., Klosko, J.S. & Weishaar, M.E. (2005). Schema-Therapie. Ein praxisorientiertes Handbuch. Paderborn: Junfermann.


Entnommen aus:
Sachse, R., Fasbender, J. & Sachse, M. (2011).
Grundannahmen, Anwendungsbereiche und Kompatibilitäten Klärungsorientierter Psychotherapie.
In: R. Sachse, J. Fasbender, J. Breil & M. Sachse (Hrsg.), Perspektiven Klärungsorientierter Psychotherapie II, 55-67. Lengerich: Pabst.